Das Landjahrlager "Hein Bauschen" in Rhede 1935 - 1944 als Instrument nationalsozialistischer Erziehungspolitik

 

 

Derzeit befasse ich mich mit dem Landjahrheim "Hein Bauschen" in Rhede in Westfalen, welches bisher nicht einmal ansatzweise in der Literatur Erwähnung findet und daher ausgesprochen unbekannt sein dürfte. Der zugehörige Aufsatz soll einen Beitrag nicht nur zur Lokalgeschichte, sondern auch zur nationalsozialistischen Erziehungspolitik liefern, indem er die Erziehungsform Landjahrlager exemplarisch am Beispiel des Landjahrheimes in Rhede dargestellt, in dem eine kleine, aber treue Gefolgschaft Adolf Hitlers heranerzogen werden sollte. Dieses Lager war im Frühjahr des Jahres 1935 auf dem Rheder Herrensitz Haus Tenking an der Stadtgrenze zu Bocholt als Erstes von zwei Landjahrlagern im Kreise Borken eingerichtet worden. Geweiht wurde das Heim auf den Namen des gebürtigen Bocholters und frühen Nationalsozialisten Hein(rich) Bauschen, der - bei einer "Straßenschlacht" mit Kommunisten im Oktober 1929 in Duisburg ums Leben gekommen - im Bocholter Raume nach 1933 als "Bocholter Horst Wessel" zum Märtyrer der "Bewegung"  stilisiert wurde und dessen "Einsatz" für die "Bewegung" den künftigen Lagerbewohnern als Vorbild dienen sollte. Wir versprechen dir, dass [wir], wenn wir einmal Männer geworden sind, in dem Sinne arbeiten werden, wie der Führer und du es uns vorgeschrieben hast, hieß es in der Weiherede 1935. Während der Dauer des achtmonatigen Landjahres von Mitte April bis Mitte Dezember sollten auf Haus Tenking nun erst 60 Jungen, dann bis zu 80 Mädchen nach einer "hauswirtschaftlichen Grundausbildung" auf den Höfen örtlicher Bauern als Hilfskräfte oder zur Unterstützung kinderreicher Mütter als Haushaltshilfen "außendienstlich" eingesetzt werden. 

Doch dass die Landjahrjungen und -mädchen nicht nur als Hilfskräfte herangezogen werden sollten, wird in vielen überlieferten Dokumenten deutlich. Vor allem dienten die Landjahrheime der Nationalsozialisierung ihrer jungen Bewohner. Hier werden die Jungens mit dem Ideengut des neuen Deutschland vertraut gemacht und auf ihren späteren Beruf vorbereitet. Deutsche Kameradschaft und Volksgemeinschaft soll in den Landjahrheimen eine ideale Pflegestätte finden, heißt es beispielsweise in einem zeitgenössischen Zeitungsbericht zum Rheder Lager.

Dieses war für die Einrichtung als Landjahrheim vor allem durch seine Lage abseits der nächsten beiden Städte Bocholt und Rhede prädestiniert. "Idyllisch" in der Natur gelegen sollten hier vor allem Großstadt-Kinder den "Verlockungen der Großstadt" entzogen werden, um sie gemäß der nationalsozialistischen "Blut und Boden"-Ideologie für ein ursprüngliches Leben auf dem Lande zu begeistern. Weiter begriffen die Nationalsozialisten das Lager an sich als eine geeignete Erziehungsform für nationalsozialistische Tugenden wie Kameradschaft, Treue, Gehorsam und Pflichtgefühl. Darüber hinaus sollten die jungen Lagerbewohner für Monate der Obhut ihrer Eltern entzogen werden, um so total den jeweiligen (ebenfalls jungen) Lagerführern unterworfen zu sein. Ohne sich dem Einfluss ihrer Lagerführer entziehen zu können, sollten die Landjahrpflichtigen hier nationalsozialisiert werden. Ein streng geregelter Tagesablauf von früh bis spät ließ den Bewohnern nämlich keine Zeit für Individualismus, wie dies auch in der Uniformierung der Mädchen auf obenstehendem Bild vor der Treppe des Eingangsportales von Haus Tenking Ausdruck findet. 

 

Im April 1944 wurde das Lager durch 80 Mädchen aus Ost- und Südwestfalen letztmalig bezogen, die hier bis Mitte Dezember ihr Landjahr hätten absolvieren sollen. Doch mit dem Beginn der "Operation Market Garden", der alliierten Luftlandung in den niederländischen Provinzen Nordbrabant und Gelderland ab dem 17. September 1944, zählte Rhede schlagartig zum rückwärtigen Frontgebiet. Dies hatte nicht nur die Verlegung beispielsweise des Bocholter Reservelazaretts oder des Bocholter Kriegsgefangenenlagers Stalag VI F zur Folge, auch das Landjahr in Rhede musste auf Grund der Frontnähe vorzeitig beendet werden. Das Anwesen Haus Tenking galt jedoch wegen seiner Lage mitten auf dem Lande abseits von jeglicher Industrie auch weiterhin als wenig "luftgefährdet" und schien somit als Ausweichquartier besonders geeignet. Daher wurde Haus Tenking am 25./27. September 1944 zur Unterbringung einer Dienststelle des Höheren SS- und Polizei-Führers  (HSSPF) West beschlagnahmt, bis es in den letzten Kriegstagen als Hauptverbandsplatz für Verletzte der Angriffe auf Bocholt und Rhede diente. Heute beherbergt das Herrenhaus und einstige Landjahrheim eine stationäre Pflegeeinrichtung.

 

Für meinen Aufsatz über das Landjahrheim "Hein Bauschen" in Rhede bin ich stets auf der Suche nach Zeitzeugen, weiteren Fotos oder Dokumenten. Zur Weitergabe etwaiger Hinweise möchte ich auf das Kontaktformular aufmerksam machen.